Der Bundesgerichtshof hat in einem am 26. Juni 2023 verkündeten Urteil völlig neue Standards gesetzt im Abgasskandal und den erwartet "eigenen" Weg zur Harmonisierung der europäischen Rechtssprechung in dieser Sache gefunden. Unterm Strich: Verbrauchern steht ein Schadenersatz zwischen 5 und 15 % des Kaufpreises zu. Dafür reicht, dass eine unzulässige Abschaltvorrichtung die Abgasreinigung reguliert. Ob die Hersteller damit nur fahrlässig einen Mangel verbaut haben und man ihnen keinen Vorsatz nachweisen kann, ist nicht mehr entscheidend. Schaltet ein Thermisches Fenster ab, ohne dass der Motor konkret von einem Schaden bedroht ist, dann ist diese Vorrichtung unzulässig und löst den Schadenersatzanspruch in der neu definierten Form aus.
Die Folgen
- Bereits laufende Verhandlungen um den "Großen Schadenersatz" - also die Rückgabe des Fahrzeugs - können auf den neuen Schadenersatz umgestellt werden, mit sehr guten Aussichten auf Erfolg.
- Neue Verfahren werden billiger und Erfolg versprechender.
Der BGH minimiert die Voraussetzungen für einen Klageerfolg erheblich, den bislang war für einen Schadensersatz der Nachweis der Vorsätzlichkeit der Hersteller unabdingbar. Verbraucher kommen also nun viel einfacher zu ihrem Geld. Im Verfahren wurde zwar die endgültige Entscheidung wieder an die Instanzgerichte zur Schadenersatzbemessung zurückgegeben, allerdings legten sich die Richter in der Urteilsbegründung schon auf eine Summe zwischen 5 und 15 Prozent des Einkaufspreises fest, sobald die Verwendung einer Abschaltvorrichtung nachgewiesen ist. Das Urteil spielt Verbrauchern in die Karten, die ihr Auto eigentlich gar nicht verkaufen, sondern nur den entstandenen Schaden ersetzt bekommen möchten.
Der Bundesgerichtshof hatte zu den Aktenzeichen VIa ZR 335/21 / VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22 Urteile der Instanzgerichte gekippt.und grundsätzlich einen Schadenersatzanspruch erkannt, sobald eine unzulässige Abschaltvorrichtung in Gebrauch ist. Den Herstellern muss demnach nicht mehr der Vorsatz nach § 826 nachgewiesen werden, um im Dieselskandal Entschädigungen zuzusprechen. Es reicht, wenn eine Regelung der Abgasreinigung aktiv ist, also z.B. das sogenannte „Thermische Fenster“.
Der EuGH hatte bereits im Dezember 2020 festgestellt, dass eine Abschaltung der Abgasreinigung nur dann zulässig ist, wenn der Motor dadurch vor einem akuten Schadensrisiko bewahrt werden kann. Bislang war das höchste deutsche Gericht dieser Meinung nicht gefolgt und hatte vor den Schadenersatz der Nachweis der Sittenwidrigkeit - also der sittenwidrigen Absicht - gesetzt. Der BGH bringt zur Berechnung eines individuellen Schadenersatzanspruchs die „Differenzhypothesen-Vertrauensschadenersatz“ ins Spiel, was eine Berechnung des Wertverlustes bedeutet in Bezug zum Einkaufspreis. Das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung muss nicht mehr durch ein Gutachten nachgewiesen werden.
Der BGH hat die klageabweisenden OLG-Urteile gekippt und die Verfahren an die zuständigen Oberlandesgerichte zurückverwiesen, die nun nur noch festzustellen haben, ob eine unzulässige Einrichtung verbaut ist und wie hoch der Schadenersatz sein wird.
Man kann davon ausgehen, dass nun regelmäßig Schadenersatz gezahlt werden muss, allerdings muss für den sogenannten ‚Großen Schadenersatz‘ weiterhin der Vorsatz nachgewiesen werden! Dieser Weg steht Klägern immer noch frei.
Offen bleibt die Frage der Verjährung hin, denn die drei Urteile gegen VW, Mercedes und AUDI sorgen für völlig neue Verhältnisse. Eine Verjährung kommt demnach frühestens in drei Jahren zum Jahresende in Betracht.
Wie wird der BGH-Schadensersatz ermittelt?
- - Am bislang mögliche Schadenersatz gem. § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung hat sich nichts geändert. Gegen Rückgabe des Autos, gibt es den Kaufpreis abzgl. einer Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer.
- - Beim BGH-Schadensersatz spielt dagegen der Differenzschaden eine Rolle. Hier gibt es Schadenersatz gem. § 823 BGB wegen Fahrlässigkeit. Der Kläger kann das Auto dann behalten und erhält 5 - 15 % des Kaufpreises, im Ermessen des Richters. Unter Umständen kommt noch eine Nutzungsentschädigung in Betracht. Diese wird aber erst abgezogen, wenn sie zusammen mit dem Restwert des Fahrzeugs den Kaufpreis übersteigen würde.
Beispiel:
- Auto für 30.000 gekauft
- Schadenersatz 10 % , also 3.000 Euro.
- Restwert des Autos: 20.000 Euro
- Nutzungsersatz: 8.000 Euro
Restwert und Nutzungsersatz zusammen ergeben 28.000 Euro, also weniger als der Kaufpreis. Dementsprechend wird nichts vom Schadenersatz abgezogen. Der Kläger erhält 3.000 Euro.
Variante: alles gleich, aber Nutzungsersatz beträgt 11.000 Euro, zusammen mit dem Restwert (20.000 Euro) also 31.000 Euro. Also 1.000 Euro über dem Kaufpreis. Diese 1.000 Euro werden vom Schadenersatz abgezogen und der Kläger bekommt 2.000 statt der 3.000 Euro.
Nutzungsersatz kommt somit eigentlich erst ins Spiel, wenn das Auto viel "runter" hat. Es ist zu erwarten, dass ein Schadenersatz duchschnittlich zwischen 1.600 und 4.900 Euro liegt.
Kritik am BGH-Schadensersatz
Das BGH-Urteil zum Schadensersatz bedenkt nicht, dass eine drohende Stilllegung eines Autos einen beinahe 100 % Schaden ausmacht, da das Auto in der EU nicht mehr verkauft werden kann. Zudem lohnt sich ein Schadensersatz nur bei wirklich teuren Autos, zumal als Verfahrensrisiko droht, dass der Schadensersatz unter einen Minimalwert rutscht und dann gleich "Null" gesetzt wird. Zudem ist nicht klar, wie der Differenzschaden sicher berechnet werden kann, wenn der Zeitwert von einer vagen Schätzung ausgeht. Die Stilllegungsgefahr steht erst einmal unkonkret im Raum. Um dies wirklich beurteilen zu können, müsste das KBA eine konkrete Liste erstellen, eine Abfragemöglichkeit bieten oder alle betroffenen Dieselbesitzer über den Status informieren
Offene Fragen sind
- Wann verjährt der Anspruch?
- Wie wird der Anspruch prozentual bewertet?
- Können abgeschlossene Verfahren wieder aufgenommen werden?
- Wer trägt den Schaden bei einer erfolgten Stilllegung?
Grundsätzlich muss sich die Frage gestellt werden, ob ein Schadensersatz nach § 826 nicht weiterhin der Königsweg sein sollte, denn nur ein abgegebenes Auto entzieht sich dem Stilllegungsrisiko.
Welche Autos sind nun konkret betroffen?
In den Schadstoffklassen 5 und 6 müssen Dieselmotoren ehrgeizige Emissionsgrenzen einhalten. Da dies offenbar nur mit einem Thermischen Fenster oder vergleichbar effektiven Abschaltvorrichtungen gelingen kann, gilt ddas "Thermische Fenster" als technischer Standard alller Diesel, die bis September 2019 zugelassen wurden. Betroffen sind demnach zweifelsfrei
- Alle deutschen und weitere europäische Hersteller von Dieselmotoren inklusive englischer Produzenten
- Insbesondere Wohnmobile und Transporter auf Ducato oder Iveco-Basis
- Ausländische Fabrikate, die der EU-Norm entsprechen müssen, also insbesondere Autos aus Japan, China, Korea und den Vereinigten Staaten
Allerdings sollten die Autos je nach Klasseneinordnung nicht mehr als 350.000 Kilometer gelaufen sein
BGH - 3 Urteile zum Schadensersatz im Abgasskandal
Schadenersatz im VW Abgasskandal – BGH VIa ZR 335/21
Im Verfahren zum Aktenzeichen VIa ZR 335/21 ging es um Schadenersatzansprüche bei einem VW Passat mit einem Motor des Typs EA 288 und der Abgasnorm Euro 6. Der Kläger hatte das Fahrzeug im November 2017 gekauft. Neben einem Thermofenster ist in dem Modell auch die sog. Fahrkurvenerkennung verbaut. Der Kläger machte Schadenersatzansprüche wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung geltend. VW verwies darauf, dass das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) den Motor untersucht und die EG-Typengenehmigung erteilt hat. Einen Rückruf des KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung gibt es nicht.
Das OLG Oldenburg hatte die Klage abgewiesen, der BGH kippte dieses Urteil jedoch und verwies den Fall zur erneuten Entscheidung an der OLG zurück. Dabei stellten die Karlsruher Richter zunächst klar, dass die Tatbestandswirkung der vom KBA erteilten Typengenehmigung Schadenersatzansprüchen wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nicht im Wege steht. Mit der Typengenehmigung werde lediglich bescheinigt, dass das Fahrzeug den vom Hersteller gemachten Angaben entspricht. Der Hersteller könne Abschalteinrichtungen jedoch auch ganz oder teilweise verschwiegen haben. Das Vorliegen einer Typengenehmigung sei daher nicht entscheidend für die Frage, ob der Käufer geschädigt wurde. VW kann sich bei Schadenersatzklagen daher nicht darauf zurückziehen, dass das KBA die Typengenehmigung erteilt hat. Schadenersatzansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung können trotzdem bestehen, wie der BGH klarmachte.
Weiter machten die Karlsruher Richter deutlich, dass bei Fahrlässigkeit des Autoherstellers gemäß § 823 BGB Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens besteht. Denn dem Käufer sei mit dem Erwerb eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung immer auch ein Schaden entstanden,. Ein Käufer dürfe davon ausgehen, dass ein Fahrzeug den gesetzlichen Vorgaben entspricht und uneingeschränkt genutzt werden kann. Das sei jedoch nicht der Fall, wenn eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt. Ein Schaden sei auch dann eingetreten, wenn es noch nicht zu einem Rückruf durch das KBA oder anderen Nutzungsbeschränkungen gekommen ist, stellte die Karlsruher Richter klar
Bei Fahrlässigkeit hat der Kläger nach dem Urteil des BGH allerdings nicht Anspruch auf die Rückabwicklung des Kaufvertrags, sondern Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens.
Im vorliegenden Fall sei davon auszugehen, dass Schadenersatzansprüche wegen Fahrlässigkeit gemäß § 823 BGB gegen VW bestehen, so der BGH. Es könne unterstellt werden, dass VW eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung vorgelegt hat und das Fahrzeug mit einer unzutreffenden Abschalteinrichtung ausgerüstet ist. Die Feststellungen des OLG Oldenburg seien hier nicht ausreichend. Es habe keine weiteren Untersuchungen angestellt, ob es sich beim Thermofenster und der Fahrkurvenerkennung im VW Passat des Klägers, um unzulässige Abschalteinrichtungen handelt, so der BGH. Das müsse das OLG nun nachholen und feststellen, ob unzulässige Abschalteinrichtungen vorliegen und daher Schadenersatzansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung oder wegen Fahrlässigkeit bestehen, so die Karlsruher Richter, die den Fall zur Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.
Der Kläger muss nachweisen, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt. Ist das der Fall, muss VW beweisen, weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt zu. Es muss ein unvermeidbarer Verbotsirrtum nachgewiesen werden.
Schadenersatz im Mercedes Abgasskandal – BGH VIa ZR 1031/22
Mit Urteil vom 26. Juni 2023 hat der Bundesgerichtshof die Chancen auf Schadenersatz im Mercedes-Abgasskandal deutlich erhöht (Az.: VIa ZR 1031/22). Der BGH hat deutlich gemacht, dass Schadenersatzansprüche schon bestehen, wenn Mercedes nur fahrlässig eine unzulässige Abschalteinrichtung verwendet hat. Das bedeutet, dass nicht nachgewiesen werden muss, dass der Vorstand von der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen wusste oder sie veranlasst hat. Es muss keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung mehr nachgewiesen werden, was die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen erleichtert.
Geklagt hatte der Käufer eines Mercedes C 220 d mit Dieselmotor der Typs OM 651 und der Abgasnorm Euro 6. Er machte Schadenersatzansprüche geltend, weil in dem Modell unzulässige Abschalteinrichtungen zum Einsatz kämen, u.a. die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) und ein Thermofenster bei der Abgasreinigung. Ein Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts für das Modell liegt nicht vor.
Während die Klage in erster Instanz Erfolg hatte, wies das OLG Stuttgart sie im Berufungsverfahren ab. Dies begründete das OLG damit, dass Mercedes keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB nachzuweisen sei. Der Kläger habe keine ausreichenden Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Verhalten von Repräsentanten des Autoherstellers vorgetragen.
Der BGH kippte das Urteil. Denn das OLG habe zu Unrecht eine Haftung von Mercedes wegen Fahrlässigkeit gemäß § 823 BGB ausgeschlossen. Das OLG müsse den Fall neu entscheiden und dabei berücksichtigen, dass die Tatbestandswirkung einer EG-Typengenehmigung einem Anspruch auf Schadenersatz – auch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung – nicht entgegensteht.
Das OLG Stuttgart muss nun feststellen, ob in dem Mercedes des Klägers eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist und Schadenersatzansprüche wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Schädigung bestehen. Liegt eine unzulässige Abschalteinrichtung vor, muss Mercedes beweisen, dass weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt wurde. Dieser Nachweis dürfte schwer zu führen sein.
Bei einer fahrlässigen Schädigung haben die Käufer Anspruch auf Ersatz des sog. Differenzschadens. Das heißt, er kann das Auto behalten und erhält zwischen 5 und 15 Prozent des Kaufpreises zurück. Nutzungsvorteile, wie die gefahrenen Kilometer, werden erst dann angerechnet, wenn sie zusammen mit dem Restwert den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen. Bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung besteht Anspruch auf den sog. großen Schadenersatz. Dann gibt der Kläger das Auto zurück und erhält im Gegenzug den Kaufpreis zurück. Für die gefahrenen Kilometer muss er sich allerdings eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen.