Der EuGH hat zur Zulässigeit von Abschaltvorrichtungen in Diesel-Motoren das mit Spannung erwartete Urteil veröffentlicht. Abschaltvorrichtungen sind demnach unzulässig - auch das "Thermische Fenster". Hersteller wie BMW, Daimler oder der beklagte Volkswagen-Konzern waren bislang der Meinung, dass man eine entsprechende EU-Verordnung zum Schutz von Bauteilen des Abgassystems vor Überhitzung nutzen darf - Verbraucherschützer sehen darin eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB. Viele deutsche Landgerichte sehen das in Urteilen gegen VW und Mercedes sehr kritisch: "Wenn Bauteile geschützt werden müssen, dann sollten Motorenentwickler in der Lage sein, diesen Schutz allein durch technische Maßnahmen zu gewährleisten!" Nun ist die Hängepartie vorüber: Das Thermische Fenster und generell alle Abschaltvorrichtungen sind unzulässig. Ausnahmen gelten nur, wenn eine Vorrichtung eine konkrete Gefahr verhindern kann.
Das französische Gericht „Tribunal de Grande Instance de Paris“ hatte den EuGH um Klärung von Einzelfragen gebeten. Die französische Justiz ging davon aus, dass die EG-Verordnung 715/2007 nicht dazu herangezogen werden darf, um Abschaltvorrichtungen zu legitimieren. Wenn der Motor konkret in Gefahr ist, dann darf abgeschaltet werden, aber nicht grundsätzlich und quasi zur Prophylaxe - Hersteller müssen ihre Fahrzeuge im Rahmen der Abgasnormen Euro 5 und Euro 6 nun so konstruieren, dass die zulässigen Emissionswerte unter normalen Umweltbedingungen nicht überschritten werden. Das gilt auch und ganz besonders für Updates, für die das Thermische Fenster in aller Regel genutzt wurde. Abschalteinrichtungen sind unzulässig. Das Urteil hat insbesondere für die Abschaltvorrichtung "Themisches Fenster" Bedeutung, da nahezu alle Hersteller in einem nicht zu akzeptierenden Rahmen mit dieser Abschaltvorrichtung arbeiten und den Einsatz auch nicht abstreiten.
Einfluss auf BGH-Verfahren am 9. März 2021
In Ihrem Abschluss-Antrag vor dem Europäischen Gerichtshof hatte die Generalanwältin sich im Verfahren C-693/18 früh (30. April 2020) und sehr eindeutig festgelegt: Die beklagte Volkswagen AG hat im Fall EA189 europäisches Recht gebrochen! Für die Verbraucher bedeutet diese positive Entscheidung des EuGH, dass es vor Gericht bei Klagen gegen die Hersteller freie Bahn gibt, denn die Existenz eines Thermischen Fensters wird derzeit von keinem Hersteller bestritten. Ob dadurch die vom Bundesgerichtshof sehr eigenwillig festgelegte Regelung zum Nutzungsersatz im Widerspruch zu europäischem Recht steht, muss jetzt neu geklärt werden. Auch Deliktzinsen sind im Fall von vorsätzlicher Schädigung klar "europäisch" definiert. Das positives EuGH-Urteil zum Thermischen Fenster wird den BGH auf europäischem Rechtsparkett isolieren und hat entscheidene Auswirkungen auf das BGH-Verfahren zum Thermischen Fenster am 9. März 2021.
Generalanwältin: Thermofenster ist unzulässige Abschaltvorrichtung
Generalanwältin Eleanor Sharpston stellte wie nun auch das Gericht fest, dass es sich beim von VW genutzten "Thermischen Fenster" um eine unzulässige Abschaltvorrichtung handelt. Dies sollte nun auch Verbrauchern Mut machen, in deren Autos weiterer Hersteller ebenfalls das „Themische Fenster“ zur Steuerung einer Abschaltvorrichtung benutzt wird. Mercedes und BMW stellen sich artig in diese Reihe. Auch der aktuelle VW Motor EA288, der in allen aktuellen Massemodellen vom Golf bis zum T6 verwendet wird, ist davon betroffen. Nach Meinung des Gerichts ist ein "Thermofenster" grundsätzlich eine unzulässige Abschalteinrichtung. Das EuGH-Urteil zum Thermischen Fenster kann daher nicht nur die beklagte Volkswagen AG treffen, sondern auch alle anderen Hersteller in Europa. Gerade dem Fiat-Chrysler-Konzern (FCA) dürfte das Urteil des EuGH zum Thermischen Fenster jetzt nicht in den Zeitplan passen. In der Diskussion um den Wohnmobil-Dieselskandal geht es auch um das Thermische Fenster.
Für alle Hersteller gilt jetzt höchstoffiziell: Abgasreinigung darf erst dann abgeschaltet werden, wenn ein Ausfall von Bauteilen unmittelbar bevorsteht und ausschließlich durch extrem hohe oder extrem niedrige Temperaturen heraufbeschworen wird, die im Alltag in aller Regel nicht vorkommen. Wenn Temperaturen unter 17 und über 33 Grad die Lebensdauer eines Motors beeinflussen, dann muss halt anders konstruiert werden - so der Tenor des Urteils.
Zur Vermeidung langfristiger Auswirkungen wie Abnutzung oder Wertverlust dürfe eine solche Abschaltvorrichtung nicht konstruiert oder genutzt werden. Es müsste ein unmittelbares Beschädigungsrisiko bestehen, bevor zulässig abgeschaltet werden darf.
EG-Verordnung 715/2007 rechtswidrig ausgenutzt?
Der EuGH ist dem Antrag der Generalanwältin konsequent gefolgt und hat damit festlegt, dass Autohersteller die EG-Verordnung 715/2007 zu der Abgasnorm Euro 5 und Euro 6 nur so für sich nutzen dürfen, dass zulässige Emissionswerte unter normalen Betriebsbedingungen eingehalten werden und NOx-Reduzierung auch außerhalb der durch das Thermische Fenster einseitig eingeschränkten Temperaturen funktioniert.
Auch Behörden wie das deutsche Kraftfahrt Bundesamt werden ihre Entscheidungen jetzt dem Urteil des EuGH zum Thermischen Fenster anpassen müssen, denn Pflicht der Aufsichtsbehörde ist zu überwachen und durchzusetzen, dass in Deutschland zugelassene Autos europäischem Recht entsprechen. Das Urteil des EuGH zum Thermischen Fenster wird eine Vielzahl von Rückrufaktionen auslösen. Eine Folge: Durchgeführte Rückrufaktionen beseitigen den Mangel nicht und so könnte das Urteil des EuGH zum Thermischen Fenster dem Abgasskandal eine Dynamik verleihen.
Technisch bedeutet das Urteil zum Thermofenster, dass die Hersteller das Thermische Fenster deaktivieren müssen mit der Konsequenz, dass EU-Grenzwerte nicht mehr eingehalten werden und technisch nachgebessert werden muss. Dies geschieht in aller Regel durch eine Erhöhung der Taktung des AGR-Ventils mit den bekannten Auswirkungen: Die Lebensdauer der gesamten Anlage sinkt, Verbrauchswerte steigen und auch die Performance des Motors leidet - es drohen Motorschäden wie defekte AGR-Ventile, kaputte AGR-Kühler und Turbolader.